Die Filmwirtschaft braucht einen Stabilitätsfonds
02.04.2020
Der globale Shutdown als Antwort auf die COVID-19-Pandemie stellt auch die Filmwirtschaft vor existenzielle Fragen. Der bisherige Schutzschild von Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium ist der richtige Ansatz, um die gesamtwirtschaftlichen Folgen zu dämpfen. Firmeninsolvenzen zu verhindern und Arbeitsplätze zu sichern, ist auch aus Sicht der SPIO das Gebot der Stunde. Die zusätzlichen Maßnahmen der Kulturstaatsministerin und die Sofortprogramme der FFA und der Länderförderungen sind eine wichtige Unterstützung für die Filmwirtschaft, um die Krise durchzustehen – sie reichen jedoch nicht aus.
Viele Betriebe und Beschäftigte der Filmbranche drohen in eine Lücke zwischen diesen Bausteinen zu fallen. Denn der übergeordnete Ansatz der Bundesregierung bietet keine Antwort auf die branchenspezifischen Herausforderungen. Wo es geht, wird die Filmwirtschaft weiter Umsätze erwirtschaften, doch an vielen Stellen wird dies durch staatliche Anordnungen, wie Kinoschließungen und Drehverbote, oder rechtliche Unsicherheiten verhindert. Die Branchenverbände der SPIO schlagen deshalb ein Stabilitätsprogramm für die Filmwirtschaft vor, welches das Überleben der Branche auch bei einem längeren Stillstand sichern soll.
Der globale Shutdown trifft die Filmwirtschaft ins Herz
Drei branchenspezifische Gründe sind ausschlaggebend, warum der globale Shutdown für die Filmwirtschaft besonders einschneidende Folgen hat:
// Die Filmbranche ist wirtschaftlich besonders divers.
Sie vereint Soloselbständige, Kleinstunternehmen und Mittelstand bis zu vertikal integrierten Unternehmen – ohne diese betriebliche Infrastruktur ist das Kulturgut Film nicht denkbar. Auf Seiten der Kinos sind alle Betriebstypen – von den Lichtspielhäusern auf dem Land bis zu den Multiplexen in den Städten – mit der Krise konfrontiert.
Die Unternehmen der Branche arbeiten besonders arbeitsteilig – oft international vernetzt – und verfügen meist über eine geringe Eigenkapitalbasis. Der hohe Investitionsbedarf ist Hauptgrund für die knappe Eigenkapitalausstattung. Bei den technischen Dienstleistern – und zunehmend auch bei den Filmtheatern – kommen die kurzen Innovationszyklen noch dazu. Bei Produktionsunternehmen wurde diese Situation in den letzten Jahren zusätzlich verschärft – etwa durch die Streichung der sogenannten Erfolgsdarlehen und die Einschränkung der Referenzmittelverwendung in der letzten Novellierung des Filmförderungsgesetzes.
// Film ist mit außergewöhnlich hohen Investitionen verbunden.
Während andere Branchen Produktionsstätten wieder in Betrieb nehmen können, sind bei jedem Filmprojekt hohe Anfangsinvestitionen notwendig und lange Produktionphasen zu berücksichtigen. Eine Folge dieser hohen Investitionen ist der im Branchenvergleich besonders starke Umsatzmultiplikator. Das heißt auch: Nach einer Phase des Stillstands löst die anlaufende Filmwirtschaft eine besonders effektive Kaskade an Folgeinvestitionen aus, die auch andere Branchen schnell wieder in Schwung bringen.
// Die jetzt ausbleibenden Umsätze lassen sich später nicht nachholen.
Eine weitere Konsequenz der hohen Investitionen ist, dass ein Abbruch oder schon eine Verschiebung das faktische Aus eines Filmprojekts bedeutet. Zu den rasant steigenden Mehrkosten kommen Terminschwierigkeiten bei der Besetzung und den Produktionsabläufen. Beim Wiederanlaufen der Branche drohen Kapazitätsengpässen und ein verschärfter Fachkräftemangel, weil zu viele Ressourcen auf einmal gebraucht werden.
Auch auf Verleihseite sorgt der Stillstand für einen zunehmenden Stau: 41 deutsche Filme befanden sich zu Beginn der Corona-Krise in der Auswertung. Mit jeder weiteren Woche kommen neue Verschiebungen hinzu. Entgangene Starts können nicht einfach nachgeholt werden, denn eine Filmflut ist unwirtschaftlich. Und auch jedes Kinoticket, das jetzt nicht verkauft wird, kann nicht kompensiert werden.
Stabilitätsfonds Filmwirtschaft
Nach Berechnungen der SPIO sind 36 Prozent der knapp ■ 80.000 Arbeitsplätze in der Filmwirtschaft gefährdet. Den 6.700 Unternehmen droht eine Insolvenzwelle. Mindestens 422 Filmprojekte in unterschiedlichen Produktionsphasen sind von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betroffen. Das Investitionsvolumen in diese Filmprojekte liegt bei mehr als einer halben Milliarde Euro. Damit die Film- industrie eine Chance hat, auch eine langanhaltende Durst- strecke zu überstehen, ist eine gemeinsame Anstrengung von Kultur- und Wirtschaftspolitik gefragt. Folgende Eckpunkte muss ein wirkungsvoller Stabilitätsfonds Filmwirtschaft umfassen:
// Förderbedarf
Nach Branchenschätzungen belaufen sich die Umsatzverluste eines dreimonatigen Stillstands der Filmbranche in Folge der Corona-Krise auf 2 Mrd. Euro. Von den technischen Dienstleistern bis zu den Kinos sind die Unternehmen weiterhin mit hohen Fixkosten konfrontiert. Dazu kommen pandemiebedingte Mehrkosten und Einmalzahlungen. Im Rahmen der SPIO haben alle Branchenteile detaillierte Berechnungen für einen dreimonatigen Stillstand vorgelegt. Sie ergeben einen Bedarf von 563,5 Mio. Euro.
■ Kinos: Branchenunabhängige Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen können nur einen Teil der notwendigen Deckungsbeträge der Kinos aus- gleichen. HDF Kino und AG Kino beziffern die notwendigen Finanzhilfen bei einem dreimonatigen Ausfall auf 186 Mio. Euro.
■ Verleih: Der Verband der Filmverleiher (VdF) und die AG Verleih prognostizieren die Umsatzeinbußen im Verleihbereich auf bis zu 96 Mio. Euro. Neben den Kinoschließungen sorgt auch der Einbruch bei Weltvertrieb und Home Entertainment – in Folge von Ladenschließungen – für verlorene Refinanzierungsmöglichkeiten. Um diese zu kompensieren ergibt sich ein Mindestbedarf von 16,5 Mio. Euro.
■ Produktion: Produzentenallianz und Produzentenverband schätzen den Produktionsausfall bei angenommenen drei Monaten des Stillstands der Produktion für Kino und Fernsehen auf eine Mrd. Euro. Dieser Ausfall wird nur teilweise nachgeholt werden können, teils wird auch endgültig abgebrochen werden. Wenn die Produktionen nachgeholt werden, werden sie wegen begrenzter Produktionskapazitäten den Ausfall nicht kompensieren können, sondern eigentlich für später geplante Projekte verdrängen, so dass es zu einem endgültigen Ausfall kommt. Hinzu kommen Zinsverluste durch die stillstehenden Produktionen. Der notwendige Kostendeckungsbetrag von mindestens 226 Mio. Euro kann nicht aus dem Eigenkapital der Produktionsunternehmen ausgeglichen werden.
■ Filmtechnische Dienstleiter: Von dem vom Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen (VTFF) vertretenen Branchensegment werden im Bereich Kinofilm/fiktionale TV-Produktion Umsatzeinbußen von ca. 240 Mio. Euro erwartet. Besonders kritisch ist dabei, dass dieser Sektor im Vergleich zu anderen Wertschöpfungsstufen mit ca. 75 Prozent einen sehr hohen Fixkostenanteil für Gehälter, Studiohallen, Fahrzeuge und vor allem Technik und digitale Infrastruktur zu finanzieren hat. Insgesamt ergibt sich nach Berücksichtigung von Entlastungen durch Kurzarbeit ein nicht durch Um- sätze gedeckter Fixkostenanteil in Höhe von 56 Prozent des wegfallenden Umsatzes. Dies bedeutet, dass von dem vom VTFF für alle Branchenteilsegmente angemeldeten Bedarf von 375 Mio. Euro ein Teilbetrag in Höhe von ca. 135 Mio. Euro auf die Kinofilm/fiktionale TV-Produktion entfällt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die branchenspezifischen Hilfsmaßnahmen der Kulturpolitik, der Förderer und Sender für die technisch-kreativen Dienstleistungsunternehmen nicht greifen.
// Direkte Zuschüsse
Der Pandemie-bedingte Stillstand der Filmwirtschaft von Produktion bis zur Kinoauswertung sorgt dafür, dass Darlehen allein nicht ausreichen, um Unternehmen nach der Krise wieder auf solide Füße zu stellen. Es bedarf echter Zuschüsse, sonst wird den Betrieben eine Schuldenlast aufgebürdet, die ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig belastet, die Bonität zerstört und ihre Existenz gefährdet. Die Liquiditätshilfen müssen den Unternehmen daher in Form von direkter Unterstützung oder als bedingt rückzahlbare Darlehen gewährt werden.
// Klare Abgrenzung
Der Stabilitätsfonds dient zur Bewältigung des derzeitigen Stillstands der Branche. Die Mittel decken daher weder die vor den angeordneten Kinoschließungen und Drehverboten entstandenen Kosten und Verluste noch die zu erwartenden Mehrkosten und Folgeschäden nach dieser Phase. Die Wie- deranlaufphase bedarf eigener Instrumente, nur dann kann auch wieder investiert werden.
// Förderstruktur nutzen
Die Filmförderungsanstalt (FFA) verfügt über alle notwendi- gen Branchenkennzahlen und ist ideal geeignet, zusammen mit den Ländern und ihren Fördereinrichtungen eine zügige und rechtssichere Umsetzung des Stabilitätsfonds Filmwirt- schaft zu gewähren.
// Subsidiarität
Wo es möglich ist, soll die Filmwirtschaft an den geeigneten branchenunabhängigen Maßnahmen partizipieren. Die SPIO und ihre Mitgliedsverbände informieren die Branche tages- aktuell, viele Verbände bieten Übersichten und Beratungsmöglichkeiten zu den Programmen von Bund und Ländern. Der Stabilitätsfonds soll Betriebe auffangen, die nicht oder nur zum Teil auf diese Maßnahmen zurückgreifen können. Damit wird eine Lücke im bestehenden Instrumentarium geschlossen und eine branchenspezifische Benachteiligung der Filmwirtschaft ausgeglichen. Grundsätzlich sollen die Hilfen allen Unternehmen – unabhängig von ihrer Größe und ihrem inhaltlichen Fokus – offenstehen. Der Mittelabruf muss aber auf Betriebe begrenzt sein, die Folgeschäden der Corona-Krise nachweisen können.
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Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO) vertritt die Interessen der deutschen Film- und Videowirtschaft in den Sparten Filmproduktion, Filmverleih, Filmtheater und Audiovisuelle Medien. Als Dachverband von 19 Berufsverbänden repräsentiert sie mehr als 1.100 Mitgliedsfirmen und eine Vielzahl von Einzelpersonen der Filmwirtschaft. Ziel der SPIO ist es, den deutschen Film in seiner Vielfalt, Qualität und internationalen Wahrnehmung zu stärken und seine Wettbewerbsfähigkeit als Wirtschafts- und Kulturgut zu sichern.
Ordentliche Mitglieder: AG Verleih – Verband unabhängiger Filmverleiher e. V. // Allianz Deutscher Produzenten Film & Fernsehen e. V. // Cineropa e. V. // FDW Werbung im Kino e. V. // HDF Kino e. V. // VdF Verband der Filmverleiher e. V. // VDFE Verband Deutscher Filmexporteure e. V. // Produzentenverband e. V. // VTFF Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V.
Außerordentliche Mitgliedsverbände: AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e. V. // BAV Bundesverband Deutscher Film- u. AV-Produzenten e. V // Deutsche Filmakademie e. V. // German-Films Service + Marketing GmbH // IDS Interessenverband Deutscher Schauspieler e.V. // Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater e. V. // IPAU e.V.