Zeit, Vertrauen und künstlerische Freiheit - Gastbeitrag BlickpunktFilm
12.12.2022 BlickpunktFilm Heft 50/12
Trotz positiver Ansatzpunkte fehlt es laut den Autorinnen in Deutschland an einer nachhaltigen Talentförderung. Ein Plädoyer für eine neue Strategie, die für eine zukunftsfähige Bewegtbildkultur steht.
In einem Ökosystem beeinflusst je- der noch so kleine Organismus Erhalt, Vielfalt und Wachstum der gesamten Gemeinschaft. Angenommen, die Filmbranche ist ein solches Ökosystem: Weshalb kümmert sie sich nicht intensiver um den Bestandteil, der für eine innovative, lebendige und zukunftsfähige Filmkultur und Serienlandschaft in Deutschland wesentlich ist – die Talente und ihre nachhaltige Förderung?
Wir sprechen von Talenten und Talentförderung, da sich Hochschulabsolvierende und Autodidakt:innen mit dem Begriff »Nachwuchs« oft weder identifizieren können, noch in ihren Stärken gesehen und wertgeschätzt fühlen.
Die 2021 vom Produzentenverband veröffentlichte Nachwuchsstudie belegt, was viele Talente aus eigener Erfahrung berichten: Der Karrierestart, egal ob als Drehbuchautor:in, Regisseur:in und/oder Produzent:in mit eigener Firma, ist herausfordernd. Die Hürden, mit denen sie sich konfrontiert sehen, sind häufig nicht personen- oder projektspezifisch, sondern vor allem systemischer Natur.
Talentförderung hat bisher überwiegend die Regie im Fokus. Im Durchschnitt dauert es nach Studienabschluss fünf Jahre bis zum ersten Langfilm. Talent- filme entstehen meist unter prekären Be- dingungen. Viele Talente müssen parallel in anderen Jobs ihren Lebensunterhalt verdienen. Zu betonen ist hier der Gender-Gap: Vor allem Frauen werden noch immer strukturell benachteiligt.
2019 entfielen mit rund 50 Mio. Euro nur knapp acht Prozent des Gesamtfördervolumens deutscher Filmförderungen auf die Entwicklung, Produktion und/ oder Auswertung von Kurz- und Talentfilmen bis zum dritten Langfilm. Betrachtet man die Finanzierungsstrukturen, wurden 63 Prozent der studiengegenständlichen ersten Langfilme von Regionalförderungen unterstützt, jedoch nur 4,6 Prozent durch die BKM und 3,1 Prozent durch das Kuratorium junger deutscher Film oder die FFA.
Die angespannte Lage ist auch im institutionellen Bereich sichtbar. Vor rund 57 Jahren erkannten Filmschaffende und Politik die Notwendigkeit einer kompromisslosen künstlerischen Talentförderung: Das Kuratorium junger deutscher Film entstand. Doch seit Jahren ist die einzige Förderinstitution in Deutschland mit klarem Fokus auf Talentförderung unterfinanziert. In den jüngeren Förder- runden gingen jeweils bis zu 130 Anträge im Bereich Talentförderung ein. Bei ei- nem Jahresetat der Stiftung von 800.000 Euro liegt das Fördervolumen für Talent- filme in der Regel zwischen 300.000 und 450.000 Euro pro Sitzung.
Das Filmfestival Max Ophüls Preis ist das wichtigste Festival für den deutschsprachigen Talentfilm. Es steht seit über 40 Jahren für die Entdeckung aufstrebender Filmschaffender und muss doch jedes Jahr wieder um eine angemessene Finanzierung kämpfen. Auf der Liste der für Referenzpunkte anerkannten Festivals, sucht man das FFMOP vergeblich – trotz intensiver Bemühungen seitens der Festivalmacherinnen.
Die Probleme sind Branchen-Ent- scheider:innen seit Langem bekannt. Im Rahmen der Nachwuchsstudie schätzten über zwei Drittel der befragten Talente allgemeine Entwicklungschancen innerhalb der Filmbranche als »eher schwie- rig« oder »sehr schwierig« ein. Nur knapp vier Prozent betrachten die Entwicklungschancen als »sehr gut«. Es ist keine Seltenheit, dass Filmschaffende nach ihrem Debüt von der Bildfläche verschwinden. Warum wurde das so lange akzep- tiert und führte bisher nicht dazu, Talentförderung neu zu denken?
Natürlich lassen wir die positiven Beispiele der Talentförderung nicht außer Acht: Regionale Förderprogramme und Nachwuchspreise verschaffen ausgewählten Talenten Sichtbarkeit und wichtige Starthilfen. Aber eine Gesamtstrate- gie für eine nachhaltige Talentförderung, in der sich die einzelnen Komponenten ergänzen, aufeinander aufbauen und so die Entwicklung von kreativen Persönlichkeiten und national wie international konkurrenzfähigen Filmen unterstützen, fehlt. Hierbei sehen wir nicht nur die Filmförderungen auf Bundes- und Länderebene in der Verantwortung, sondern auch Hochschulen, Sender, Streamer, Verleiher, Weltvertriebe, Kinobetreiber – die gesamte Branche.
Damit sich etwas ändert, haben das Filmfestival Max Ophüls Preis und das Kuratorium junger deutscher Film in Ko- operation mit dem Produzentenverband das Forum Talentfilm Deutschland ins Leben gerufen. Ein Format, in dessen erster Edition 65 Teilnehmende auf Augenhöhe über die Situation von Talenten und der Talentförderung diskutiert, Reformwillen artikuliert und Lösungsansätze entwickelt haben.
Im Rahmen der Hauptveranstaltung im September näherten sich die Teilnehmenden dem Themenkomplex in aufeinander aufbauenden Arbeitssessions. Inspiriert durch Case Studies europäischer Nachbarländer, in denen Politik und Branche regelmäßig konkrete Ziele vereinbaren, standen mögliche Förderziele für Deutschland, die Sichtbarkeit der Talente und ihrer Werke, Auswertungswege, aktuelle Erfolgskriterien und deren Anwendbarkeit auf Talentfilme, Risikofreude sowie die Option zu scheitern im Fokus. Dabei bestand Einigkeit darüber, dass es einer Reform der Talentförderung dringend bedarf, um Filmschaffende über den Debütfilm hinaus aufzubauen, Arbeitsbedingungen zu verbessern, soziale Nachhaltigkeit zu gewährleisten, gewerkeübergreifend zu fördern und aufstrebende Filmschaffende in der Branche zu halten.
Mette Damgaard-Sørensen, Leiterin von New Danish Screen, der Talentförderung des Dänischen Filminstitutes, hat in ihrem Impulsvortrag auf der Forumsveranstaltung auf den Punkt gebracht, was Talente brauchen, um sich und ihre Werke zu entwickeln: »Time, trust and artistic freedom.« Daran orientiert sich die Talentförderung in Dänemark, ihre Finanzierung und stetige Fortentwicklung mit großem nationalen und internationalen Erfolg. Gemeinsam mit den Teilnehmenden des 1. Forum Talentfilm und der Nachwuchsstudie appellieren wir an die Politik und Institutionen, vor allem an die BKM, den Stellenwert der Talentförderung zu erhöhen, sie finanziell angemessen auszustatten sowie Rahmenbedingungen zu schaffen, die realistische Perspektiven für eine Karriere in der Filmbranche bieten – im Dialog mit den Talenten, die in Entscheidungsprozesse eingebunden werden müssen und deren Perspektive nicht überhört werden darf.
Die Nachwuchsstudie bildet vor allem die Situation bis 2019 ab. Eine zeitnahe Fortsetzung der Studie ist wün- schenswert, denn es ist zu befürchten, dass die Pandemie-Jahre sowie die aktuellen Umbrüche in der Branche die Lage der Talente und den Gender-Gap weiter verschärfen.
Im Forum haben wir begonnen, Grundlagen für eine neue Talentförderung auf Bundesebene zu erarbeiten, die nicht nur die Produktionsförderung und die Regie fokussiert, sondern das kreative Kerndreieck und den gesamten Prozess von der ersten Idee bis zur Auswertung berücksichtigt. Darunter ein differenzier- tes Stufenmodell für Entwicklungsförderung, das bereits bei frühen Ideen ansetzt und Projekte wie auch Personen fördert. So können sich Kreative auf die – angemessen finanzierte – Entwicklungsarbeit konzentrieren. Das führt zu einer Verkürzung von Entwicklungszeiten und der Verbesserung der Projektqualität.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, Talenten schnellstmöglich Zeit, Vertrauen und künstlerische Freiheit zu geben. Lassen Sie uns die Talentförderung reformieren, Zeiträume und Ziele festlegen, Pilotprojekte anstoßen und Er- gebnisse an den gesetzten Zielen messen. Die Talentförderung im Rahmen der FFG-Novellierung und der damit ange- strebten »grundlegenden Reform der deutschen Filmförderung« zu berücksichtigen, ist ein zentraler Schritt.
Mit dem 1. Forum Talentfilm Deutschland haben wir die Pflanzen ausgesät und wollen diese im Rahmen von Folgeveranstaltungen 2023 zum Wachsen bringen. Lassen Sie uns zusammen ein sich ständig weiterentwickelndes, starkes Ökosystem schaffen, das für Talente aller Gewerke, die Medienkultur und die gesamte Film- und Kinobranche neue Früchte trägt!
»Einigkeit, dass es dringend einer Reform bedarf.«